Testverfahren und Testabdeckung in der Elektronikfertigung Welches Testverfahren ist anzuwenden?
Prozessbedingte Fehler
Bei der Herstellung von elektronischen Flachbaugruppen ist eine Überprüfung des Bestückungsergebnisses zwingend, da Fehler prozessbedingt auftreten, wie z.B. der Grabsteineffekt (tombstone effect). Besonders bei Produkten für sicherheitskritische oder medizinische Anwendungen ist die reproduzierbare und dokumentierbare Überprüfung des Bestückungs- und Lötprozesses mit einer möglichst großen Testabdeckung unabdingbar. Von großem Vorteil ist es dabei, wenn diese Tests begleitend mit der Fertigung stattfinden können, damit Probleme frühzeitig erkannt werden und zur Verbesserung der laufenden Fertigung herangezogen werden können. Aus diesem Grund wollen wir hier nur zerstörungsfreie Tests betrachten.
Bekannte Testverfahren
Eine Übersicht der bekannten Testverfahren finden Sie in der nachfolgenden Tabelle.

Die einzelnen Testverfahren im Detail
Betrachten wir die einzelnen Testverfahren nun im Detail.
MOI: Manuelle Optische Inspektion
Bei der MOI, auch Sichtprüfung genannt, suchen Mitarbeiter mit den Augen und ggf. mit Hilfe des Mikroskops die Baugruppe nach Fehlern ab. Hierbei können theoretisch alle Fehler gefunden werden, die sichtbar sind. Das sind Anwesenheit, Platzierung und Orientierung, sowie Richtigkeit, Kurzschlüsse, Unterbrechungen und Lötqualität an den Anschlüssen sofern optisch erkennbar.
Nicht gefunden werden können unter anderem die Richtigkeit von unbeschrifteten Bauteilen (wie z.B. Keramische SMD Kondensatoren, kleine SMD Widerstände), defekte Bauteile, Lötstellen von BGA, LFN und CSP, nicht erkennbare kalte Lötstellen sowie Unterbrechungen und Kurzschlüsse in der Leiterkarte.
Der Vorteil des geringen Rüstaufwands wird durch den enorm hohen Stückaufwand zu Nichte gemacht, sodass dieses Verfahren nur bei sehr kleinen Losgrößen Anwendung findet. In der Serie wird es aber oft als Ergänzung zur AOI verwendet um die Fehler zu finden, die das AOI nicht detektieren kann.
In der Praxis ist dieses Verfahren leider nur bedingt zuverlässig, da es stark von der Tagesform der Mitarbeiter abhängt.
AOI: Automatische Optische Inspektion
In einem AOI-Prüfprogramm werden Bauteilpositionen und Prüfmakros zugeordnet. Mit Hilfe eines Portalroboters werden dann Kameras über das Bauteil positioniert um hoch auflösende Fotos anzufertigen. Bei der Auswertung der Fotos werden Anwesenheit, Platzierung, Orientierung und Richtigkeit überprüft, sofern diese optisch erkennbar sind. Auch die Lötqualität kann im Rahmen einer Lötmengenbewertung kontrolliert werden.
Wie bei der MOI können Fehler, die nicht sichtbar sind auch nicht gefunden werden. Bei AOI-Systemen mit reinen Top-Down-Kameras können darüber hinaus nur die Merkmale geprüft werden, die von oben sichtbar und nicht abgeschattet sind. So ist es nicht möglich ICs mit J-Bend (wie z.B. PLCC), BGA, CSP usw. auf Lötstellen und Kurzschlüsse zu prüfen. Auch lässt sich die Polarität von z.B. bedrahteten Tantals, Elkos und Netzwerkwiderständen nicht kontrollieren, wenn das Polungskennzeichen seitlich aufgebracht ist. Hier sollte dann eine ergänzende MOI durchgeführt werden.
Dieses Verfahren ist reproduzierbar und die erstellten Fotos und das Prüfprogramm werden archiviert. Das bietet den Vorteil, die Prüfung später mit einem veränderten Prüfprogramm erneut anzuwenden.
AOI-Systeme arbeiten in der Regel taktgleich mit der Fertigungslinie, sodass Sie hervorragend in der Serienfertigung eingesetzt werden können. Der Aufwand zur Erstellung des Prüfprogramms liegt mit ca. 2-8h im Mittelfeld. Es ist aber für Kleinstlose unrentabel. Komplexe AOI-Systeme haben zusätzlich zu den Top-Down-Kameras Schrägsichtkameras, was die Testabdeckung etwas erhöht, aber leider auch den Aufwand für die Erstellung des Prüfprogramms.
Von Kundenseite müssen keine ergänzenden Unterlagen bereitgestellt werden, da die Mittelpunkts- Koordinaten (Pick&Place File) aus der Fertigung herangezogen werden.
AXI: Automatische Röntgen Inspektion (Auto. X-Ray Inspection)
Die Röntgeninspektion wird vor allem bei der Suche nach nicht sichtbaren Lötfehlern angewendet, wie z.B. bei der BGA Lötstelleninspektion. Die Erkennung von Kurzschlüssen und Unterbrechungen kann dabei weitestgehend automatisch erfolgen. Schwierigkeiten bereiten aber Baugruppen, die beidseitig mit überlappenden Bauteilen bestückt sind, da im Röntgenbild die Durchsicht beider Seiten zu sehen ist. Eine Differenzierung zwischen Ober- und Unterseite ist nur möglich, wenn es sich um ein Gerät mit schwenkbaren Achsen handelt. Hierbei ist aber eine automatische Auswertung zurzeit noch nicht möglich, so dass diese aufwändig manuell analysiert werden muss. Ebenso können die Platzierung und Orientierung der Bauteile in der Regel nur manuell kontrolliert werden. Der Stückaufwand ist dabei sehr hoch.
Ein AXI kommt in der Praxis nur als Ergänzung zur MOI/AOI zum Einsatz oder wenn es die Technologie erfordert wie z.B. bei der BGA-Bestückung.
ICT: In-Circuit-Test
Bei dem ICT handelt es sich um eine rein elektrische Prüfung, die unabhängig von der Funktion der Baugruppe arbeitet. Mit Hilfe eines Nadelkissenadapters werden möglichst alle Netze zeitgleich kontaktiert und mit einem Testrechner verbunden. Dieser wählt über eine Schaltmatrix die zu prüfenden Netze aus und kontrolliert die zu erwartenden elektrischen Parameter.
Neben den klassischen Test auf Kurzschluss und Unterbrechung (Short & Open) können auch Widerstand, Kapazität und Induktivität gemessen und geprüft werden. Schwierigkeiten ergeben sich aber, wenn das Ersatzschaltbild zweier Netze zu komplex wird. So kann z.B. bei einer Parallelschaltung vieler Kondensatoren (typischerweise bei Abblock-Cs) nicht mehr jeder einzelne nachgewiesen werden, da der Kapazitätswert in der akkumulierten Toleranz untergeht.
Ergänzend sind auch einfache funktionale Tests möglich wie z.B. die Einspeisung der Versorgungsspannung, wobei die Stromaufnahme und alle Betriebsspannungen gemessen werden.
Der Vorteil liegt in der sehr kurzen Taktzeit, da ein Wechsel der beteiligten Netze über die Schaltmatrix sehr schnell erfolgen kann.
Von Nachteil sind die hohen Einmalkosten für den Nadelkissenadapter und für die Prüfprogrammerstellung. In der Praxis können die Nadeln nicht beliebig eng platziert werden und die Kontaktierungsgenauigkeit ist für Fine-Pitch Bauteile (Pitch <=0.5mm) nicht mehr ausreichend.
Zur Erstellung und Optimierung des Prüfprogramms müssen die kompletten Projektdaten des EDA-System vorliegen.
FPT: Flying-Probe-Test
Im Gegensatz zum klassischen ICT erfolgt beim FPT die Kontaktierung der Netze sequenziell. Mit Hilfe eines Portalroboters werden bis zu vier Nadeln von oben und zwei Nadeln von unten über die Baugruppe frei platziert um dann das Pad zu kontaktieren. Die Genauigkeit ist dabei so hoch, dass Bauteile bis zu einem Pitch von 0.3mm sicher kontaktiert werden können.
Die elektrischen Prüfungen erfolgen wie bereits beim ICT beschrieben. Darüber hinaus ist es mit Systemen der neusten Generation möglich, Anschlüsse zu untersuchen, die nicht mit der Nadel kontaktiert werden können, wie z.B. BGAs, μBGAs oder auch Steckerkontakte. Bei dieser s.g. Electro-Scan Methode können über eine Feldstärkenmessung offene Lötstellen erkannt werden.
Auch Kombinationen aus einfachen funktionalen Prüfungen und AOI-Prüfungen sind durch die integrierten Kameras realisierbar.
Der gravierende Vorteil gegenüber dem ICT besteht aus der extrem hohen Flexibilität. Es entstehen keine Einmalkosten für einen Adapter und das Prüfprogramm kann jeder Zeit an geänderte Layouts, wie z.B. bei Re-Designs üblich, angepasst werden.
Die Prüfgeschwindigkeit ist langsamer als beim ICT, da die Prüfnadeln immer wieder neu platziert werden müssen. Der Aufwand für das Erstellen des Prüfprogramms ist im Vergleich zum AOI-Programm hoch, aber niedriger als beim Funktionstest.
BST: Boundary-Scan-Test
Der BST setzt voraus, dass es auf der Baugruppe ein oder besser noch mehrere ICs gibt, die Boundary-Scan fähig sind. Im Design muss darauf geachtet werden, dass der BS-Bus durchverbunden und auf Testpunkte oder Stecker geführt wird. Zum Test muss eine Versorgungsspannung angelegt werden. Im Testlauf wird als erstes die Core-Logik der BS-ICs mit Hilfe der IO-Blocks logisch abgetrennt. Anschließend wird eine serielle Prüfsequenz durch die IO-Blocks geschoben, wobei die Antworten in die Sequenz ergänzt werden.
FT: Funktionstest
Hierbei handelt es sich um ein Testverfahren, dass individuell für eine Baugruppe entwickelt werden muss. Eine geeignete Testumgebung erlaubt es die Schnittstellen und ggf. erforderliche Messsignale mit dem Funktionstestplatz zu verbinden. Für den Testplatzrechner muss eine Testsoftware geschrieben werden. Ist auf der Baugruppe ein Mikrokontroller und/oder FPGA beteiligt ist auch hierfür eine Testsoftware zu integrieren, damit eine akzeptable Testabdeckung erreicht werden kann.
BIST: Eingebauter Funktionstest (Built-In-Self-Test)
Beim BIST wird mit Hilfe von rückgekoppelten Signalführungen auf der Zielhardware die Funktion überwacht. Hierbei unterscheidet man die Tests, die in der Initialisierungsphase ausgeführt werden (s.g. initial tests) und solche die begleitend zur normalen Funktion arbeiten (s.g. run time tests).
Der Nachteil besteht in den hohen Stückkosten, da die Rückkopplung der Signale in der Regeln zusätzliche Hardwarekomponenten erfordern.
Vor- und Nachteile der einzelnen Testverfahren:
Zusammenfassend ergeben sich folgende Vor- und Nachteile:

Berechnung der Testabdeckung
Betrachten wir nun die Testabdeckung, die wir nach der folgenden Formel berechnen:

Welche Fehler durch ein Testverfahren überprüft werden können, ist dabei abhängig vom Bauteiltyp. So kann man z.B. von einem SMD-Keramikkondensator, der in der Regel nicht beschriftet ist, mit einem AOI-System den Wert nicht überprüfen. Zur Ermittlung der Testabdeckung ist es deshalb erforderlich, die Häufigkeit der einzelnen Bauteiltypen mit heranzuziehen. Hierzu wird normalerweise die Stückliste benutzt. Da wir hier aber eine allgemeine Aussage treffen möchten, haben wir aus unserer Datenbank eine virtuelle Baugruppe konstruiert, die aus dem Jahresmittelwert aller bestückten Bauteile besteht. Ein Vergleich über mehrere Jahre hat dabei gezeigt, dass die Varianz recht klein ist, sodass wir diese Vorgehensweise als sinnvoll erachten.
Klassifizierung der möglichen Fehler
Wir haben die Fehler wie folgt klassifiziert:
- Bestückungsfehler
- Anwesenheit: Ist das Bauteil vorhanden?
- Platzierung: Ist das Bauteil innerhalb der erlaubten Grenzen platziert?
- Orientierung: Hat das Bauteil die richtige Polung (gilt nur für gepolte Bauteile)?
- Richtigkeit: Ist es das richtige Bauteil?
- Lötfehler
- Kurzschluss: Gibt es eine Verbindung zwischen zwei Netzen?
- Unterbrechung: Gibt es eine fehlende Verbindung?
- Lötqualität: Kein übermäßiges oder unzureichendes Lötzinn, kalte Lötstellen, Lunker, Lötperlen, Lötrückstände etc..
- Bauteilfehler
- Basiskennwerte: Fehlerhafter Basisparameter wie Widerstandswert, Kapazitätswert etc.
- Nebenspezifikation: Fehlerhafter Temperaturbereich, Spannungsfestigkeit, Keramikart etc. (aber nicht Toleranz, da diese mit einem ICT/FPT nachgewiesen werden kann)
- Funktion: Fehler in der Funktion komplexerer Bauteile (z.B. Fehler in der Core-Logik)
Die Summe der möglichen Fehler ergibt sich aus der aufgeführten Fehlerklassifizierung, wobei pro Bauteil jede der Fehlerklassen einmal vorkommen kann, wenn sie auf den Bauteiltyp anwendbar ist.
Summe möglicher Fehler und auffindbare Fehler
Die folgende Tabelle zeigt die Anzahl der Bauteile/Fehlerklasse, die auf unserer virtuellen Baugruppe mit insgesamt 1000 Bauteilen vorkommen kann.

Sinnvolle Kombinationen der Testverfahren
Betrachten wir nun die sich ergebenden Testabdeckung der einzelnen Testverfahren sowie sinnvolle Kombinationen:

Im Vergleich der Testverfahren ist festzustellen, dass eine MOI mit einer Testabdeckung von 75% das beste Einzelverfahren ist. MOI ist aber auch das teuerste und unzuverlässigste Verfahren. So ist es gängige Praxis die MOI nur als Ergänzung zur AOI durchzuführen. Interessant ist, dass die Nachschaltung eines FT die Testabdeckung nur um 9% auf 84% erhöht. Das liegt vor allem daran, dass der FT nicht alle Bauteile berücksichtigen kann und auch keine Aussage über die Einhaltung der Nebenspezifikationen macht, wie z.B.: Toleranzen.
Eine hervorragende Kombination mit 94% Testabdeckung ist AOI+MOI+FPT. Der FPT deckt dabei weitgehend die Fehler ab, die man optisch nicht erkennen kann. Ein ergänzender FT erhöht das Ergebnis nur um 1%.
Selbst eine Hintereinanderschaltung aller Testverfahren erreicht nur 96%. Das liegt u.a. daran, dass keins der Testverfahren in der Lage ist die nicht messbaren Neben-Spezifikationen wie z.B. Temperaturbereich, Spannungsfestigkeit, Keramikart usw. bis hin zur Dicke einer Stecker Beschichtung zu überprüfen. Deshalb ist eine funktionierende und zuverlässige Materiallogistik unabdingbar. Sie muss dafür Sorge tragen, dass bei der Bereitstellung der Bauteile die Nebenspezifikationen eingehalten werden. Als Fertigungsfehler kommt dann nur noch eine Verwechslung von zwei gleichen Basiskennwerten mit verschiedenen Nebenspezifikationen in Betracht, welches aber eher selten ist.
Fazit
In der Praxis liegt oft der Entwicklungsfokus ausschließlich auf der Realisierung der Funktionalität. Die Testability wird als nebensächlich betrachtet. Das liegt unter Umständen auch daran, dass zu Beginn einer Entwicklung die zu erwartende Stückzahl eher gering eingestuft wird. Steigt dann die Stückzahl, wird ein funktionierender Test unabdingbar und muss aufwendig nachentwickelt werden. Hier ist der ergänzende Einsatz eines FPT sinnvoll, da man mit geringem Aufwand eine hohe Testabdeckung erreicht.
Aus qualitativer und auch ökonomischer Sicht ist die Kombination aus AOI ergänzt um MOI und FPT sehr zu empfehlen.
Die Vorteile liegen auf der Hand:
- Hohe Testabdeckung
- Fertigungsbegleitend durchführbar
- Vertretbarer Prüfprogrammerstellungsaufwand
- Reproduzierbar und dokumentierbar
- Wenige zusätzliche Designregeln
Dieser Vergleich setzt auf einer virtuellen Baugruppe auf. Uns ist klar, dass letztendlich die Berechnung einer Testabdeckung nur für eine konkrete Baugruppe unter Heranziehung der entsprechenden Stückliste erfolgen kann. Die anzuwendenden Testverfahren können dann anhand der konkreten Baugruppe entschieden werden. Hierbei helfen wir Ihnen gerne.
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